8/12/2020,
Von Giorgos Christides, Emmanuel Freudenthal und Steffen Lüdke
Griechenland und Frontex stehen wegen illegaler Pushbacks von Geflüchteten in der Kritik. Während die Verantwortlichen dementieren, greifen Grenzer zu immer brutaleren Methoden – offenbar auch gegenüber Schwangeren.
Als Kostas Theodorou die beiden Frauen erblickt, ahnt er sofort, dass etwas nicht stimmt. Theodorou, ein Assistenzprofessor an der Universität auf Lesbos, geht an diesem Sonntag im November mit seiner Frau an der Promenade der Insel spazieren. Die beiden afrikanischen Frauen, die er dort nahe dem Wasser sieht, so wird er sich später erinnern, sehen erschöpft aus und verängstigt. Trotzdem wollen sie nach Mytilene, in die Hauptstadt, die noch zwölf Kilometer Fußmarsch entfernt liegt.
Die beiden Frauen, die Theodorou am 29. November trifft, heißen Angela und Sandra. Ihre Nachnamen wollen sie nicht veröffentlicht sehen. In der Nacht zuvor waren sie gemeinsam mit weiteren Migranten in einem Schlauchboot aus der Türkei gekommen, unbeobachtet von den griechischen Behörden kamen sie auf Lesbos an, am Rand Europas. Die Frauen waren vor der Gewalt in ihren Heimatländern Burundi und Kongo geflüchtet, sie dachten, der schlimmste Teil ihrer Flucht liege hinter ihnen.
Angela und Sandra wollten in Griechenland einen Asylantrag stellen, wie es ihr Recht ist. Doch zu einer Anhörung kam es nicht. Stattdessen wurden sie illegalerweise auf dem Meer ausgesetzt. Zusammen mit sechzehn anderen Schutzsuchenden, darunter laut den Geflüchteten Minderjährige und mehrere schwangere Frauen, wurden die beiden auf zwei kleinen aufblasbaren Rettungsflößen zurückgelassen. Mitten in der Nacht, mitten auf dem Meer, ohne Chance, aus eigener Kraft die Küste zu erreichen.
Griechische Grenzer führen systematisch illegale Pushbacks durch
Der SPIEGEL hat den Fall von Angela und Sandra rekonstruiert. Die Rechercheure sprachen mit Angela und einer weiteren Geflüchteten aus der Gruppe. Sie analysierten zudem Fotos, Videos und Geodaten, die die Geflüchteten der NGO Aegean Boat Report geschickt hatten.
Die Recherchen belegen, dass die Schutzsuchenden in der Tat auf Lesbos waren. Nach Auswertung der Aussagen von Flüchtlingen und Zeugen sowie von Fotos, Videos und Positionsdaten gibt es keine Zweifel daran, dass griechische Beamte sie aufs Meer zurückgeschleppt haben.
Griechische Behörden führen diese sogenannten Pushbacks inzwischen regelmäßig durch und verstoßen damit systematisch gegen internationales und europäisches Recht. Seit März sind nach offiziellen Angaben nur 4344 Migranten auf den fünf griechischen Inseln in der östlichen Ägäis angekommen – 92 Prozent weniger als im Vorjahr.
Seit Juni hat der SPIEGEL in gemeinsamen Recherchen mit der Medienorganisation Lighthouse Reports und dem ARD-Magazin »Report Mainz« dokumentiert, wie diese illegalen Pushbacks ablaufen: Die griechische Küstenwache fängt die Geflüchteten meist noch auf dem Wasser ab und zerstört den Außenbordmotor der Schlauchboote, um diese manövrierunfähig zu machen.
Dann werden die Migranten mit gefährlichen Manövern Richtung Türkei zurückgedrängt. Teils werden die Boote oder Rettungsflöße mit Seilen weiter aufs Meer gezogen, die Geflüchteten mit Waffen bedroht, nicht selten fallen Schüsse.
Inzwischen ist klar, dass auch die europäische Grenzschutzagentur Frontex von den Pushbacks weiß. In einigen Fällen stoppten Frontex-Beamte, darunter auch deutsche Bundespolizisten, sogar die Flüchtlingsboote, die griechische Küstenwächter wenig später zurückdrängten.
Frontex-Direktor Fabrice Leggeri steht deshalb unter Druck. Er muss sich vor dem Europaparlament, der EU-Kommission und dem Verwaltungsrat rechtfertigen. Bis heute beteuert Leggeri, keine Beweise für eine direkte oder indirekte Beteiligung seiner Grenzer an Pushbacks gefunden zu haben. Bis heute glaubt er offenbar auch den Unschuldsbeteuerungen griechischer Minister. Die griechischen Behörden hätten seine Zweifel ausgeräumt, sagte er in einem Interview. Die Linie behielt er auch in seinen Aussagen vor dem Innenausschuss des Europaparlaments Anfang Dezember bei. Einen Tag später wurden Angela und Sandra auf dem Meer ausgesetzt.
Asylsuchende berichten von Schlägen durch griechische Beamte
Bevor sie auf Lesbos ankamen, hatten Angela und Sandra von den Pushbacks gehört. Eine Nacht lang versteckten sie sich deshalb nach ihrer Ankunft neben der Straße, voller Angst. Die anderen aus ihrer Gruppe harrten in den Hügeln aus. Als der Assistenzprofessor Theodorou den beiden Frauen begegnete, machte er Fotos. Angela und Sandra schickten ihren Standort per WhatsApp an die NGO Aegean Boat Report, die Pushbacks in der Ägäis dokumentiert. Die Daten belegen die Anwesenheit der Frauen auf Lesbos. Erst dann rief Theodorou die Polizei.
Was dann passierte, hat Jeancy Kimbenga, ein 17-Jähriger aus dem Kongo, mit seinem Handy dokumentiert. Zwei Autos mit Blaulicht auf dem Dach hätten die inzwischen wiedervereinte Gruppe angehalten, sagt er. Im Innern hätten vermummte Männer gesessen. »Sie haben uns auf den Boden gedrückt und die Handys weggenommen«, sagt Kimbenga. Seines habe er verstecken können. Nur deshalb gibt es Bilder der Autos, sie zeigen die Nummernschilder.
Die Männer setzten sie in einen Bus und brachten sie zum Hafen der Stadt Petra, berichten Angela und Kimbenga übereinstimmend. Kimbengas Fotos und Videos belegen das.
Dann, so erzählen es die Geflüchteten, hätten die griechischen Beamten sie durchsucht. Die Männer hätten sie gezwungen, sich auszuziehen. Sie hätten sie zusammengeschlagen, angespuckt, beschimpft, sie mit Wasser besprüht.
»Ihr werdet erfrieren«, hätten die griechischen Beamten noch gerufen. Dann seien die Beamten mit einem Boot aufs Meer gefahren, hätten sie auf einem orangefarbenen Rettungsfloß ausgesetzt. »Wir saßen da«, sagt Kimbenga. »Kalt und verletzt.« Angela schickte ein Stoßgebet gen Himmel.
Erst Stunden später rettete die türkische Küstenwache die Migranten. Fotos zeigen die Männer und Frauen, als sie im Morgengrauen an der Küste an Land gehen und später in Izmir. Es sind zumindest zum Teil dieselben Menschen, die auf den Fotos auf Lesbos zu sehen sind. Kostas Theodorou erkennt Angela auf ihren Fotos aus Izmir zweifelsfrei wieder.
Europas Brutalität an den Außengrenzen
Die griechischen Behörden gingen auf einen Fragenkatalog des SPIEGEL nicht im Detail ein. Die Polizei teilte mit, dass sie in all ihren Operationen die Menschenrechte achte, die ergäben sich aus internationalem, europäischem und nationalem Recht. Das für die Küstenwache zuständige Ministerium teilte mit, dass es 30 Ausländer an Land aufgegriffen und in Quarantäne gebracht habe. Außerdem halte man sich stets an die gültigen Gesetze. Auf den vom SPIEGEL geschilderten Pushback von 18 Schutzsuchenden ging das Ministerium nicht ein.
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