18/1/2015
Von Henrik Müller
Es könnte eine Schicksalswoche werden: Griechenland wählt, und die EZB entscheidet über groß angelegte Anleihenkäufe. Ein Kurswechsel in der Eurozone ist überfällig.
Euro-Angst breitet sich aus, wieder mal. Kommenden Sonntag wählen die Griechen womöglich mehrheitlich den Linken Alexis Tsipras, der sich vom bisherigen Sparkurs verabschieden will. Kurz zuvor, am Donnerstag, wird EZB-Chef Mario Draghi wahrscheinlich ein breit angelegtes Programm zum Aufkauf von Staatsanleihen ankündigen. Beide Ereignisse könnten in einen Dominoeffekt münden, der Europa vor eine Zerreißprobe stellt.
Hier ist ein Worst-Case-Szenario: Athen kündigt die bisherigen Absprachen mit seinen Kreditgebern auf, die daraufhin den Geldhahn zudrehen. Chaotisch und ungeplant scheidet Griechenland aus dem Euro aus. Andere hochverschuldete Länder - von Portugal bis Italien - geraten in den Strudel der Ereignisse und kommen an den Anleihemärkten unter Druck. Um die destruktive Eigendynamik zu bremsen, macht die Europäische Zentralbank Draghis Ankündigung wahr, den Zusammenhalt des Euroraums zu sichern "whatever it takes". Am Ende kauft die EZB für viele hundert Milliarden Euro Staatsanleihen auf. Der von vielen in Deutschland befürchtete Sündenfall - Staatsfinanzierung über die Notenpresse - ist Realität, was nach vielen historischen Erfahrungen irgendwann zu desaströser Inflation führt.
So kann es kommen, muss es aber nicht. Möglich, dass kommende Woche ein grundlegender und überfälliger Kurswechsel in der Europolitik beginnt. Denkbar, dass sich Europa endlich dem Grundproblem der andauernden Krise stellt: den hohen Schulden.
Kaum Spielraum für Investitionen
So sieht's aus: Das Erbe des Booms der Nullerjahre behindert immer noch eine wirtschaftliche Gesundung. Es geht dabei nicht nur um die Staatsschulden. Zusammengenommen sind die Staaten, Unternehmen und Bürger in vielen Eurostaaten heute deutlich höher verschuldet als vor Beginn der Krise 2008, wie die EU-Kommission gerade wieder vorgerechnet hat.
Die bisherige Strategie des kollektiven Sich-gesund-Sparens hat enttäuschende Ergebnisse gezeitigt: In Relation zum Einkommen sind die Schulden noch weiter gestiegen. Besonders drastisch ist der Anstieg in jenen Ländern, die die größten Kostensenkungen vorgenommen haben: in Irland und in Griechenland. Zwar haben es in den vergangenen Jahren einige, insbesondere Spanien, geschafft, die privaten Schulden zu senken. Aber auch dort geht der Prozess des "Deleveraging" quälend langsam.
Der hohe Schuldendienst wiederum lässt kaum Spielraum für Investitionen - die Verbindlichkeiten der Firmen liegen in Italien und Spanien im Schnitt beim Neunfachen der Gewinne, in Portugal gar beim Zwölffachen (Vergleichszahlen für Griechenland liegen nicht vor). Deshalb scheitert die EZB bislang mit ihren Bemühungen, die Kreditvergabe an die Realwirtschaft anzuregen. Deshalb kommt das Wachstum nicht in Gang, bleibt die Arbeitslosigkeit hoch, steigt die Gefahr eines Abgleitens in die Deflation.
Auf dem Höhepunkt der Krise hat sich die EU ein umfangreiches Instrumentarium zur zentralen Überwachung der Wirtschafts- und Finanzpolitik gegeben. Es soll langfristig einen Rückfall in die Schlamperei verhindern. Nur: Bislang kann dieses Instrumentarium gar nicht richtig greifen, weil die letzte Krise noch immer nicht vorbei ist.
Initialzündung zu einem Politikwechsel in Europa?
Insofern haben Tsipras und seine Berater recht: Die Eurozone insgesamt wird nur aus der Krise herausfinden, wenn sie einen Teil der ausstehenden Schulden abschreibt. Das heißt: Viele Unternehmen und Privatbürger müssen durch geordnete Insolvenzen gehen. Ebenso der griechische Staat, der mit Abstand auf dem höchsten Schuldenberg der EU sitzt (rund 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften müssten in der Folge viele Milliarden Euro an Forderungen abschreiben. Wo das zu Schieflagen führt, bräuchte es einen Auffangfonds im Rahmen der Europäischen Bankenunion, den es bislang nicht gibt.
Die Wahlen zum Athener Parlament könnten, so gesehen, die Initialzündung zu einem Politikwechsel in Europa sein. Denn nicht nur in Griechenland verlieren die alten Politeliten die Unterstützung der Bevölkerung. Nach sechs Jahren Dürre werden die Bürger unruhig. So ist auch in Spanien, wo im Herbst gewählt wird, ein Machtwechsel hin zur dortigen Linkspartei Podemos möglich. Wenn dadurch Strukturreformen und Antikorruptionskampagnen - wie sie Tsipras verspricht - möglich werden, umso besser. Die Bundesregierung wird, wie in den vergangenen Jahren auch, einen Kompromisskurs mit etwaigen neuen Regierungen suchen.
In einem solchen positiven Szenario könnte tatsächlich so etwas wie ein Neustart der Eurozone gelingen. Die EZB würde sich wieder auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren und müsste nicht mehr den Ausputzer spielen. Eine Aufgabe, mit der die Geldpolitik ohnehin überfordert ist, wie das schlechte Beispiel Japans zeigt.
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