29/12/2014
Schluss mit dem Sparen, Milliarden für die Armen: Mit solchen Botschaften kommt Alexis Tsipras bei den Wählern in Griechenland an. Schon Ende Januar könnte der Linke regieren. Sein Aufstieg wird Folgen haben - für ganz Europa.
Wie es scheint, besitzt TV-Moderatorin Anna Panagiotarea seherische Fähigkeiten. Im Jahr 1990 sagte sie in ihrer Sendung zu einem jungen Mann mit bemerkenswert wildem Haarschnitt: "Du bist erst 17 Jahre alt. Aber eines Tages werden wir uns wiedersehen. Dann wirst du ein politischer Anführer sein." Der Junge mit dem Haarschnitt war Alexis Tsipras - und er könnte schon in wenigen Wochen zum mächtigsten Mann Griechenlands gewählt werden.
An diesem Dienstag brachte auch der dritte Wahlgang für das Präsidentenamt nicht die nötige Mehrheit für den früheren EU-Kommissar Stavros Dimas. Die Konsequenz: Neuwahlen Ende Januar.
1990 ging Tsipras noch zur Schule. In die Sendung von Anna Panagiotarea brachte ihn seine Anführerrolle beim Studentenprotest gegen unpopuläre Bildungsgesetze.
Heute, mit erst 40 Jahren, führt Tsipras ein Bündnis der griechischen Linken, die Syriza-Partei. Das Revoluzzer-Image pflegt er weiter sorgfältig. Inzwischen trägt er zwar Anzug, aber praktisch nie Krawatte. Vor allem aber kennt er sich noch immer bestens aus mit Gestänker gegen unpopuläre Vorschriften. Sein Kurs gegen vermeintlich oder tatsächlich aus dem Ausland diktierte Sparmaßnahmen lockt die Wähler. In Massen. Die jüngsten Umfragen sehen Syriza ganz vorn - deutlich vor der regierenden Nea Dimokratia.
Freunde wie Gegner sind sich einig: Dem charismatischen Tsipras ist zu verdanken, dass aus einem Haufen radikaler Linker die aktuell beliebteste Partei des Landes geworden ist. "Unter Tsipras hat sich die Linke vom meckernden Zuschauer zur Regierungskraft gewandelt", sagt Christoforos Vernardakis, Politikwissenschaftler an der Universität Thessaloniki. Eine linke Regierung wäre eine Premiere für Griechenland.
Wer soll das bezahlen?
Genau das bereitet vielen in Griechenland Sorgen. Erwartungsgemäß warnen die Gegner: Jetzt sei nicht die Zeit für politische Experimente. Wo es doch mit dem Land gerade wieder ein wenig aufwärts zu gehen scheint.
Ein Blick in das Syriza-Programm lässt erahnen, was eine linke Regierung für Griechenland bedeuten könnte. Eines fehlt auf keinen Fall: radikale Ideen.
Syriza-Vertreter erklärten SPIEGEL ONLINE, dass als erstes die "humanitäre Krise" im Land angegangen werden sollte. Für die linke Partei bedeutet das: Ein Maßnahmenpaket von Gratis-Strom und Lebensmittelmarken für die Armen bis hin zu 300.000 neuen Jobs.
Nebenbei sollen noch alle Gesetze gekippt werden, die das Parlament seit 2010 beschlossen hat.
Kritiker haben vor allem eine Frage: Wer soll das bezahlen? Syriza selbst geht von Kosten um 13,5 Milliarden Euro aus. Das griechische Finanzministerium beziffert den Finanzbedarf hingegen auf 27,2 Milliarden.
Wo die herkommen sollen? Darauf will Syriza schon eine Antwort gefunden haben. Schulden sollen konsequenter eingetrieben, Steuerhinterziehung besser bekämpft und die Reichen höher besteuert werden. Dann seien da ja auch ungenutzte Mittel aus dem Euro-Rettungsschirm und anderen Programmen der EU. Neue Schulden, darauf besteht Syriza, seien nicht nötig.
Analysten halten das, harmlos formuliert, für Wunschdenken. Bei der Eintreibung von Steuerschulden hat Griechenland bisher versagt, warum soll sich daran etwas ändern? Auch neue Steuern für die Reichen hätten sich bisher kaum bewährt. Ohnehin versteuern nur 0,5 Prozent der Griechen ein Einkommen von über 100.000 Euro pro Jahr.
Hardliner in der Partei treiben Tsipras
Die Rücknahme aller Gesetze seit 2010 - es sind Hunderte - wäre eine gigantische Aufgabe, die die griechische Wirtschaft erschüttern und potenzielle Investoren verprellen könnte. "Wir hoffen das Beste, rechnen aber mit dem Schlimmsten", sagte ein Industrieller SPIEGEL ONLINE.
Doch alle genannten Punkte sind nichts gegen das kritischste Vorhaben in Syrizas Programm: der Schuldenschnitt. Tsipras behauptet, er könne Griechenlands Gläubiger zum Verzicht auf einen großen Teil ihrer Forderungen drängen. Europa werde es nicht auf eine Pleite Griechenlands ankommen lassen, so das Kalkül.
Aus Tsipras' Umgebung heißt es zwar, eine mögliche linke Regierung werde keine Entscheidungen treffen, die einen Euro-Ausstieg riskieren. Der neue starke Mann in spe gibt sich jedoch nebulöser. Mal sagt er: "Die Währung ist kein Tabu." Dann wieder schwört er, die Griechen in der Euro-Zone halten zu wollen.
In seiner Partei herrscht an Hardlinern kein Mangel, angeführt von Panagiotis Lafazanis. Sie setzen klar auf die Pleite als Druckmittel, flirten mit dem Abschied vom Euro. Diese Stimmen haben bei Syriza einige Macht. Sollte Tsipras einen zu moderaten Kurs vorgeben, ist ihm interner Ärger in der Partei sicher.
Noch ist er nicht gewählt, doch Europa reagiert schon jetzt nervös. Wenige Stunden nachdem feststand, dass es Neuwahlen geben wird, kamen erste Warnungen aus dem Ausland. Der Internationale Währungsfonds hat die Verhandlungen mit Athen vorläufig gestoppt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ließ wissen, dass es bei einer Abkehr vom Sparkurs "schwierig werde" für die Griechen.
Davon lässt sich Tsipras offenbar wenig beeindrucken. Noch am Montag verkündete er: "In wenigen Tagen sind Rettungsaktionen, die an Sparauflagen geknüpft sind, Schnee von gestern. Die Zukunft hat begonnen."
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