22/3/2015
Von Veit Medick und Roland Nelles
Vor dem Besuch von Alexis Tsipras in Berlin verschärft die SPD den Ton. Im Interview fordert Fraktionschef Oppermann den griechischen Premier zum Reformschwur auf, warnt vor einem Euro-Aus für das Land - und lobt die Linkspartei.
Griechenland steht vor wichtigen Wochen. Am Montag kommt Regierungschef Alexis Tsipras nach Berlin. Wohl im April müssen die internationalen Geldgeber über die nächste Milliarden-Tranche entscheiden. Und im Frühsommer könnte ein drittes Hilfspaket anstehen. Oder lässt man Athen am Ende doch hängen?
Die SPD verliert angesichts des gemächlichen Tempos bei den Reformversprechen die Geduld mit der Regierung von Tsipras. Fraktionschef Thomas Oppermann wirft Tsipras Verschleppung und Finanzminister Varoufakis "Zickzack-Manöver" vor. Einen "Grexit" schließt Oppermann nicht aus - warnt jedoch vor desaströsen Folgen für Griechenland und Europa.
An die aufgrund von schwachen Umfragewerten unruhige SPD appelliert Oppermann, Ruhe zu bewahren. "Wir sind fleißige Leute, und das lohnt sich am Ende immer", sagt er.
Lesen Sie hier das gesamte Interview mit dem SPD-Fraktionschef:
Zur Person
Thomas Oppermann, 60, ist Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Der Niedersachse galt vor der Bundestagswahl als gesetzt für das Innenministerium. Weil die SPD aber auf das Ressort verzichtete, rutschte er am Ende auf den Fraktionsposten. Inzwischen übt Oppermann seinen Job nach eigener Aussage gerne aus. Die Affäre um Sebastian Edathy schadete ihm jedoch zuletzt sehr. Voraussichtlich im Juni wird er vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen müssen.
SPIEGEL ONLINE: Herr Oppermann, die Atmosphäre zwischen Berlin und Athen ist schlecht. Deutschland wird als bedrohliche Übermacht wahrgenommen, die anderen ihren Willen aufdrücken will. Wie beschädigt ist das deutsch-griechische Verhältnis?
Oppermann: Die Beziehungen waren schon zur Zeit der alten Athener Regierung nicht gut. Bei der neuen Regierung von Alexis Tsipras habe ich jedoch das Gefühl, dass sie aus innenpolitischen Gründen gezielt den Konflikt mit der deutschen Bundesregierung gesucht hat. Außerdem hatte Griechenland wohl die Hoffnung, über die Kritik an Deutschland Bündnispartner in der Eurozone für die eigenen Anliegen zu finden. Dieses Kalkül ging nicht auf. Europa verlangt geschlossen Reformen von Griechenland. Die Syriza-Regierung steht alleine da.
SPIEGEL ONLINE: Die CSU schlägt einen scharfen Ton gegenüber Athen an, CDU-Fraktionschef Volker Kauder erinnert Athen an seine "Hausaufgaben", Finanzminister Schäuble spricht von missbrauchtem Vertrauen: Welchen Anteil haben deutsche Politiker mit ihrer Rhetorik an der Verschlechterung des Verhältnisses?
Oppermann: Es ist richtig, in der Sache Klartext zu reden - und im Ton konziliant zu bleiben.
SPIEGEL ONLINE: Stellen Sie das bei Ihrem Koalitionspartner denn fest?
Oppermann: Die persönlichen Angriffe auf Wolfgang Schäuble sind indiskutabel. Aber wir lassen uns davon nicht provozieren.
SPIEGEL ONLINE: Am Montag ist Alexis Tsipras zu Gast bei der Kanzlerin. Was erwarten Sie vom griechischen Premier?
Oppermann: Tsipras musste erkennen, dass die Zickzack-Manöver von Finanzminister Varoufakis seiner Regierung in Europa geschadet haben. Tsipras hat angekündigt, eine vollständige Liste präziser Reformen vorzulegen. Ich erwarte, dass er diese Liste beim Gespräch mit Kanzlerin Merkel am Montag vorlegt. Ich will endlich wissen, ob Griechenland zu echten Reformen bereit ist oder nicht.
SPIEGEL ONLINE: Was erwarten Sie von Angela Merkel?
Oppermann: Tsipras ist jetzt am Zug, nicht Merkel. Er muss wissen, dass das, was er vorlegt, auch belastbar sein muss.
SPIEGEL ONLINE: Wie groß schätzen Sie die Gefahr eines Grexit ein?
Oppermann: Ein Grexit wäre für Europa ein Desaster. Das wäre der größte Rückschlag, den die Europäische Union in ihrer Geschichte zu verkraften hätte. In einer Zeit mit internationalen Krisenherden, die nur schwer unter Kontrolle zu bekommen sind, wäre der Austritt Griechenlands aus dem Euro ein Zeichen von dramatischer Schwäche.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt Experten, die einen Grexit inzwischen für wirtschaftlich verkraftbar halten.
Oppermann: Das gilt vielleicht im ökonomischen Modell. Was nach einem Grexit wirklich passiert, das vermag niemand genau zu sagen. Ein Ausscheiden Athens wäre ein erhebliches Risiko für den gesamten Kontinent. Ganz sicher würde es für die griechischen Bürger sofort eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen zur Folge haben.
SPIEGEL ONLINE: Athen scheint auf genau diese Angst vor dem Grexit zu spekulieren. Wird die Regierung Tsipras die Eurozone am Ende erpressen können?
Oppermann: Nein. Ein Wohlfühlprogramm kann nicht die Basis für eine weitere Zusammenarbeit mit Griechenland sein. Echte Strukturreformen sind nötig. Ich meine keine Rentenkürzungen oder rein fiskalische Maßnahmen, sondern die Überwindung des Staatsversagens. Griechenland braucht einen Mentalitätswechsel. Das in Jahrhunderten der Fremdherrschaft in Griechenland gewachsene klientelistische System, in dem der öffentliche Dienst als Versorgungsanstalt der jeweils regierenden Parteien dient, muss überwunden werden.
SPIEGEL ONLINE: Athen steht kurz vor der Pleite. Wann rechnen Sie mit einem dritten Hilfspaket?
Oppermann: Ohne einen glasklaren Reformwillen der griechischen Regierung läuft gar nichts.
SPIEGEL ONLINE: Was sind für die SPD die zentralen Bedingungen für ein drittes Hilfspaket?
Oppermann: Weitere Hilfen für Griechenland wird es nur dann geben können, wenn Griechenland uneingeschränkt bereit ist, seine eigenen Probleme zu lösen. Der öffentliche Dienst muss modernisiert werden. Eine effektive Steuerverwaltung muss aufgebaut werden. Es braucht rasche Antikorruptionsmaßnahmen. Zudem benötigen wir die belastbare Zusicherung von Tsipras, dass die Vereinbarungen Punkt für Punkt eingehalten werden. Die Regierung in Athen wäre zudem gut beraten, internationale Hilfe beim Aufbau eines funktionierenden Staatswesens anzunehmen. Die Administration in Griechenland steht vor einem umfassenden Umbau, den man gar nicht ohne die Unterstützung von Partnern schaffen kann.
SPIEGEL ONLINE: Was könnte die Bundesregierung konkret an Hilfe anbieten?
Oppermann: Ich bin dafür, dass Deutschland Experten zur Verfügung stellt, um eine ordentliche Verwaltung aufzubauen. Dabei denke ich auch an erfahrene Leute aus den Kommunen, die etwa den Aufbau der kommunalen Daseinsvorsorge unterstützen. Diese Hilfe müsste im Rahmen der Task Force von der Europäischen Union organisiert werden.
SPIEGEL ONLINE: Parallel zur Eurokrise läuft ein Streit um Entschädigungen für NS-Verbrechen in Griechenland. Hat Deutschland bei der Aufarbeitung des Nazi-Unrechts auf griechischem Boden ausreichend viel getan?
Oppermann: Wahrscheinlich nicht. Sonst käme das Thema nicht immer wieder in unregelmäßigen Abständen auf die Tagesordnung. Die NS-Besatzungsmacht hat gegen die Zivilbevölkerung eine unvorstellbare Grausamkeit gezeigt. Das ist weder in Griechenland noch in Deutschland in Vergessenheit geraten. Gleichwohl ist die Diskussion um Reparationen für mich völlig deplatziert. Sie darf nicht wie ein Faustpfand in den Verhandlungstopf um die Finanzhilfen geworfen werden. Das gibt ihr einen unseriösen Charakter.
SPIEGEL ONLINE: Wie kann Berlin mit Athen trotzdem zu einer Verständigung kommen?
Oppermann: Für das nationalsozialistische Unrecht tragen wir Verantwortung und müssen ihr gerecht werden. Ich will, dass wir bei der Aussöhnung mit Griechenland vorankommen. Wir haben bisher nur kleine Pflänzchen. Den Zukunftsfonds zum Beispiel. Oder das deutsch-griechische Jugendwerk. In die Richtung müssen wir weiterarbeiten. Aber wir sollten das Thema nicht mit der Eurokrise vermischen.
SPIEGEL ONLINE: Bald ist Halbzeit in der Großen Koalition. Die SPD rackert sich ab, schwächelt aber trotzdem in allen Umfragen. Was muss sich ändern?
Oppermann: Wir sind fleißige Leute, und das lohnt sich am Ende immer. Unsere Minister liefern in der Bundesregierung gute Arbeit ab und setzen das um, was wir vor der Wahl versprochen haben. Damit kommt auch das Vertrauen zurück.
SPIEGEL ONLINE: Die Große Koalition wird in der SPD gerne als Bündnis auf Zeit bezeichnet. Sehen Sie das auch so - oder müssen wir uns auf eine Dauer-GroKo einstellen?
Oppermann: Jede Koalition ist ein Bündnis auf Zeit. Die Große Koalition ist das in besonderer Weise. Wir sehen ja im Augenblick, dass die Opposition zu schwach ist. Sie kann ihre eigentliche Aufgabe gar nicht erfüllen und verzettelt sich in randständigen Gebieten. Wir haben in der Großen Koalition bis 2017 jedenfalls noch viel vor. Über alles Weitere entscheidet der Wähler.
SPIEGEL ONLINE: In der Linken gibt es Bewegung. Der Verlängerung der Griechenland-Hilfen stimmte die Linkspartei kürzlich überwiegend zu. Was heißt das für eine Annäherung zwischen SPD und Linke?
Oppermann: In der Tat hat sich bei der Linkspartei etwas bewegt. Frau Wagenknecht hat in Sachen Griechenland nichts mehr zu sagen. Gregor Gysi hat sich durchgesetzt und schwenkt auf einen realpolitischen Kurs ein. Das begrüße ich. Ich habe aber den Verdacht, dass das nur passiert, weil in Griechenland mit Syriza die Schwesterpartei der Linken in der Regierung sitzt. Insgesamt steht die Linkspartei aber erst ganz am Anfang umfassender Veränderungen, um eines Tages regierungsfähig werden zu können. Davon sind sie noch meilenweit entfernt. Die schrillen Töne in der Außen-, Verteidigungs- und Antiglobalisierungspolitik zeigen, dass die Bereitschaft, sich in eine Regierung einbinden zu lassen, noch nicht sehr weit entwickelt ist.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt Spekulationen darüber, dass Sie in der Causa Edathy mehr als einmal mit dem damaligen BKA-Chef Ziercke telefoniert haben. Bleiben Sie bei Ihrer Darstellung, dass es nur ein Telefonat gegeben hat?
Oppermann: Ich werde mich zu dem gesamten Komplex vor dem Untersuchungsausschuss äußern.
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