Παρασκευή 16 Φεβρουαρίου 2018

„Es gibt nur ein Mazedonien!“


15/2/2018

Von Michael Martens

Früher sangen deutsche Fans: „Es gibt nur ein Rudi Völler!“ Heute sind viele Griechen auf demselben Trip, nur geht es bei ihnen um das eine Mazedonien. Was meinen sie damit, und warum gehen sie deswegen zu Hunderttausenden auf die Straße?

Der deutsche Fußballspieler Rudi Völler und der russische Schriftsteller Nikolai Gogol waren Meister ihres Fachs, doch wenn sie hier mutmaßlich erstmals in einem Atemzug genannt werden, liegt das nicht an ihrer Könnerschaft im Umgang mit Worten oder Bällen. Vielmehr müssen sie zur Klärung eines Sachverhalts herhalten, der erstens etwas kompliziert und zweitens scheinbar derart abseitig ist, dass viele Leser diesen Text vermutlich gar nicht weiterläsen, wenn sie jetzt nicht doch gern wüssten, was Völler und Gogol gemeinsam haben.

Zuerst Völler. Ältere Leserinnen und Leser werden sich vielleicht noch daran erinnern, wie es zuging in deutschen Fußballstadien der achtziger und zum Teil noch der frühen neunziger Jahre, wenn unsere Nationalmannschaft spielte und Völler im Aufgebot stand. Völler war der beliebteste deutsche Spieler jener Zeit, und in vielen seiner 90 Länderspiele dauerte es nicht lange, bis die Fans ein Lied anstimmten, das nach der Melodie des kubanischen Gassenhauers „Guantanamera“ gesungen wurde, und zwar zu folgendem Text: „Ein Rudi Völler. Es gibt nur ein Rudi Völler. Ein Rudi Völler, es gibt nur ein Rudi Völler.“

Diese Behauptung ist grammatisch natürlich angreifbar, steht aber empirisch auf einer soliden Grundlage und führt direkt zum Thema, wenn man sich an die Stelle von deutschen Fußballfans Griechen denkt, die das gleiche Lied grölen, nur ohne Völler drin. Bei ihnen heißt es stattdessen, dass Mazedonien einmalig sei. Das nämlich haben deutsche Fußballfans und viele Griechen miteinander gemein: Die einen halten Rudi Völler, die anderen Mazedonien für einmalig.

Doch während die deutsche Hypothese von der Einmaligkeit Völlers international nie auf Widerspruch stieß, ist die griechische Annahme von der Singularität Mazedoniens umstritten – und das macht viele Griechen wütend. Allein in diesem Monat kamen in Thessaloniki und Athen etwa 300.000 von ihnen zusammen, um dafür zu demonstrieren, dass Mazedonien einmalig zu sein habe.


Im Jahr 1992, als Völler von Rom nach Marseille wechselte, gingen in Athen und Thessaloniki bei den größten Demonstrationen der griechischen Geschichte sogar mehr als zwei Millionen Menschen wegen Mazedonien auf die Straße – in einem Staat von damals zehn Millionen Einwohnern. Auch eine griechische Regierung zerbrach später am Streit um Mazedonien, es gab Neuwahlen und andere Scherereien.

Bei der Antwort auf die Frage, warum Mazedonien so viele griechische Gemüter derart bewegt, kann Nikolai Gogol behilflich sein. Der hat im Jahr 1836 die bis heute populärste Komödie Russlands veröffentlicht. Darin wird ein Reisender in einer russischen Provinzstadt irrtümlich für einen von der Obrigkeit entsandten Revisor gehalten. In der ersten Szene ruft der Stadthauptmann die wichtigsten Honoratioren des Ortes zusammen, um zu besprechen, wen und was das Städtchen, in dem einiges im Argen liegt, unbedingt vor dem Revisor verstecken müsse – den Geschichtslehrer der örtlichen Schule zum Beispiel.

„Er ist ein kluger Kopf, das sieht man“, sagt der Stadthauptmann über den Lehrer, „aber er unterrichtet mit solchem Feuereifer, dass er ganz außer sich gerät. Ich habe ihm einmal zugehört: Solange er über die Assyrer und die Babylonier redete, ging es noch einigermaßen. Doch dann kam er zu Alexander dem Großen, und ich kann gar nicht beschreiben, was da mit ihm los war. Gott, ich dachte, das Haus stünde in Flammen! Er raste hinter seinem Pult hervor, ergriff einen Stuhl und schmetterte ihn mit aller Kraft auf den Boden.“

Vor Begeisterung fliegen Möbel

Der Stadthauptmann fasst den destruktiven Enthusiasmus des Lehrers schließlich in einem Satz zusammen, der im Russischen zu einer stehenden Redewendung wurde: „Alexander der Große war ein Held, das wissen wir alle – aber muss man deswegen gleich Stühle zertrümmern?“

So wie mit dem Lehrer bei Gogol ist es im übertragenen Sinne auch mit jenen Griechen, die Mazedonien für ebenso einmalig halten wie manche Deutsche Rudi Völler: Auf Alexander den Großen lassen sie nichts kommen und werfen vor lauter Begeisterung über die makedonische Antike auch schon mal mit Möbeln.

Nehmen wir als Beispiel eine Rede, die der damalige griechische Präsident Konstantinos Karamanlis, der als vernünftiger und besonnener Politiker galt, 1982 vor mehreren tausend Angehörigen der griechischen Diaspora in Toronto hielt: „Ihr müsst all jenen entgegentreten, die versuchen, Griechenland zu schaden, indem sie dessen Geschichte und insbesondere die Geschichte Makedoniens verdrehen“, sagte Karamanlis seinem Publikum.

Denn: „Wir sind die Nachkommen Alexanders des Großen, der mittels der griechischen Sprache die hellenische Zivilisation nach ganz Asien brachte, durch die griechische Sprache die hellenische Kultur schuf und den Weg für Byzanz und das Christentum öffnete. Die Ausgrabungen beweisen, dass die Griechen des Südens und die Griechen des Nordens die gleiche Sprache sprachen, an die gleichen Götter glaubten und die gleiche Zivilisation teilten.“

Mazedonier fühlen sich als Mazedonier

Das ist allerdings unvollständig – denn es gibt etwa 1,5 Millionen Menschen, die keine Griechen, aber trotzdem Mazedonier sind. Knapp 1,3 Millionen von ihnen leben in Mazedonien, der ehemals südlichsten Teilrepublik von Jugoslawien, die 1991 ihre Unabhängigkeit erklärte. Darüber, wie die Mazedonier Mazedonier wurden, sind viele Bücher geschrieben worden, und es ist unmöglich, diesen Prozess hier nachzuerzählen. Es steht aber fest, dass sich die heutigen Mazedonier ganz selbstverständlich als solche empfinden.

Zwar ist die Nation der Mazedonier eine Erfindung wie alle Nationen, nicht zuletzt die griechische – aber heute ist diese Erfindung ein selbstverständlicher Bestandteil der mazedonischen Identität. Die meisten Mazedonier denken nicht darüber nach, warum sie sich als Mazedonier fühlen und was sie dazu macht – sie sind es eben, so wie Griechen sich als Griechen empfinden, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen.

Doch seit Mazedonien als eigenständiger Staat existiert, hat das Land Ärger mit Griechenland. Dort ist es parteiübergreifend offizielle Politik, dass Mazedonien nicht Mazedonien heißen dürfe. Deshalb haben alle Athener Regierungen seit mehr als einem Vierteljahrhundert ihren Nachbarstaat bei jeder Gelegenheit blockiert. Den Vereinten Nationen durfte Mazedonien auf griechisches Verlangen nur unter einem erniedrigenden Kunstnamen beitreten, als „Fyrom“. Das steht für „Former Yugoslav Republic of Macedonia“, frühere jugoslawische Republik Mazedonien also.

In die Nato konnte Mazedonien bisher nicht einmal unter dieser seltsamen Bezeichnung aufgenommen werden, da Griechenland das stets verhindert hat. Wenn das Land in die Nato wolle, müsse es erst seinen Namen ändern, heißt es aus Athen. Aus dem gleichen Grund konnte die EU bisher auch keine Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien beginnen. Das Land wird isoliert, weil es heißt, wie es heißt.

Politik der Antikisierung provozierte Griechenland

Ganz schuldlos war Mazedonien freilich nicht an dem Streit. Zwischen 2006 und 2016, als der Nationalist Nikola Gruevski Regierungschef Mazedoniens war, verfolgte der Balkanstaat eine aggressive Politik, die den griechisch-mazedonischen Graben noch vertiefte. Gruevski ließ einen Autobahnabschnitt sowie den Flughafen der mazedonischen Hauptstadt Skopje nach Alexander dem Großen benennen und lauter Denkmäler für Makedonier des Altertums errichten.

Das Alexanderdenkmal in Skopje ist fast 30 Meter hoch, abends mit Beleuchtung. In der Nähe steht ein fast genauso riesiges Denkmal für Philipp den Zweiten, Alexanders Vater. Ministerien in Skopje wurden im Stil antiker Tempel neu gebaut, andere erhielten dorisch-ionisch-korinthische Säulenfronten verpasst – ein pseudohellenisches Disneyland aus Gips und Beton

Diese bizarre Politik der Antikisierung hat viele Griechen empört, denn das Mehrheitsvolk in Mazedonien ist slawischen Ursprungs, und Slawen kamen erst im sechsten Jahrhundert nach Christi beziehungsweise im neunten Jahrhundert nach Alexanders Geburt auf den Balkan. Gewiss, antworteten da die Hofhistoriker in Skopje, Slawen seien erst spät auf den Balkan gekommen – aber die slawischen Eroberer seien schließlich nicht in einen menschenleeren Raum vorgestoßen, sondern hätten sich mit der ansässigen Bevölkerung vermischt, was sie ebenfalls zu Nachfahren der antiken Makedonier mache.

Das ist inzwischen nicht mehr die offizielle Linie in Skopje. Seit 2017 hat in Mazedonien eine neue, gemäßigte Regierung die Macht. Der sozialdemokratische Regierungschef Zoran Zaev will den Streit mit Athen beilegen. Er hat deshalb unter anderem den Flughafen von Skopje umbenennen lassen. Der heißt jetzt nur noch „Skopje International Airport“ – langweilig, aber aus Athener Sicht definitiv weniger anstößig.

Zaev hat auch Bereitschaft signalisiert, einen anderen Staatsnamen zu akzeptieren. Unter Vermittlung der Vereinten Nationen wird derzeit darüber verhandelt. Mehrere Kompromissvorschläge liegen auf dem Tisch: Ober-Mazedonien, Neu-Mazedonien und Nord-Mazedonien zum Beispiel. Oder Vardar-Mazedonien, nach dem Namen des Flusses, der erst durch Mazedonien fließt, bevor er in Höhe des während der Migrationskrise 2016 kurzzeitig berühmt gewordenen Grenzdorfes Idomeni griechisch Axios genannt wird und bei Thessaloniki in die Ägäis mündet.

Einbindung Mazedoniens als Gegengewicht zu Russland

Unterstützt wird die Suche nach einer Lösung von den Vereinigten Staaten, die Mazedonien in die Nato aufnehmen wollen, um ein Gegengewicht zu Russlands Einfluss auf dem Balkan zu schaffen. Noch weiß niemand, ob die Verhandlungen Erfolg haben werden. In Griechenland wollen laut manchen Umfragen 60 Prozent der Bevölkerung dem Nachbarn im Norden nicht gestatten, das Wort „Mazedonien“ im Staatsnamen zu führen.

Doch unter diesen Bedingungen wäre eine Lösung ausgeschlossen – denn wie sollen die Mazedonier ihren Staat sonst nennen? Fyromania? Republik Südslawien? Vaterland Vardarland? Während die Regierung in Skopje eine Umbenennung des Landes in Neu-, Nord-, Ober- oder Vadar-Mazedonien wohl noch verteidigen könnte gegenüber der eigenen Bevölkerung, wären „Lösungen“, in denen das Wort „Mazedonien“ gar nicht vorkommen darf, zum Scheitern verurteilt. Sie kämen der Aufforderung an die Mazedonier gleich, sich selbst abzuschaffen, und das tun Völker ungern.

Doch genau das – einen Staatsnamen ohne den Bestandteil „Mazedonien“ – haben die griechischen Demonstranten auf den Großkundgebungen der jüngsten Zeit gefordert. Unterstützt werden sie von der Griechischen Orthodoxen Kirche und Oppositionschef Kyriakos Mitsotakis. Dessen konservative Partei „Nea Dimokratia“ liegt seit Monaten in allen Umfragen klar vor dem regierenden „Bündnis der radikalen Linken“, der Syriza. Würde heute in Griechenland gewählt, wäre Mitsotakis wohl der neue Ministerpräsident. Wie es für Oppositionsführer üblich ist, lässt er keine Gelegenheit aus, um dem Regierungschef Alexis Tsipras Unfähigkeit vorzuwerfen. Der sei ein Populist, behauptet Mitsotakis.

Doch in der Mazedonien-Frage ist es vor allem Mitsotakis, der sich wie ein Populist verhält. Zwar wird aus seinem Umkreis versichert, dass er die griechische Mazedonien-Debatte für völligen Unfug halte. Doch aus taktischen Gründen kuscht Mitsotakis vor dem konservativ-nationalistischen Flügel seiner Partei. Nach der Mazedonien-Großkundgebung in Athen am 4. Februar lobte er die „Bekundung des Nationalstolzes durch Hunderttausende Bürger“ und beschuldigte Tsipras, er habe „die patriotischen Gefühle der Bürger missachtet“.

Mitsotakis sucht sogar den Schulterschluss mit dem nationalistischen früheren Ministerpräsidenten Antonis Samaras, einem abgehalfterten Scharfmacher in der Mazedonien-Frage. Samaras ließ 1993 sogar eine Regierung darüber stürzen – sie wurde vom Vater des jetzigen Oppositionschefs geführt, dem damaligen Ministerpräsidenten Konstantinos Mitsotakis. Manche seiner Anhänger entschuldigen das Verhalten von Mitsotakis junior damit, dass er bis zur Parlamentswahl, die schon in diesem Jahr stattfinden könnte, seine Partei zusammenhalten und dafür eben auch eine Haltung im „Namensstreit“ vertreten müsse, an die er eigentlich nicht glaube. Andere halten dagegen: Wenn Mitsotakis aus Angst vor der eigenen Partei schon jetzt in populistischen Zugeständnissen versinke – wie wolle er da als Regierungschef seine Reformversprechen durchsetzen?

Auffällig ist, dass sich Tsipras und sein Außenminister Nikos Kotzias in der Mazedonien-Frage überhaupt nicht populistisch verhalten. Obwohl es unpopulär ist, halten sie an den Verhandlungen mit Mazedonien fest, wagen gar die Konfrontation mit den Demonstranten. Nach der Mazedonien-Kundgebung in Athen, zu der die Veranstalter „Millionen“ gerufen hatten, hieß es in einer Mitteilung der Pressestelle des Ministerpräsidenten spöttisch: „Das ,Beben‘ und die Millionen von Demonstranten, die sich die Organisatoren und Herr Samaras zusammen mit Herrn Mitsotakis ausgemalt haben, welche die Versammlung für sich ausnutzen wollten, sind fromme Wünsche geblieben. Mögen sie ihre innerparteilichen Fragen unter sich ausmachen.“

Die überwältigende Mehrheit der Griechen, hieß es aus Tsipras’ Büro, glaubt, „dass man sich in wichtigen außenpolitischen Fragen nicht von Fanatismus und Intoleranz leiten lassen darf“. Seine Richtschnur seien Mäßigung und Vernunft, ließ Tsipras mitteilen.

Wird Tsipras zu einem großen Staatsmann?

Das klingt so gar nicht nach dem früheren Tsipras, jenem großspurigen Hellenenheros der Jahre zwischen 2012 und 2015, der mit quasi befreiungstheologischer Inbrunst verkündete, die Eurozone müsse seinem Land die Schulden erlassen, weil Griechenland eine Demokratie sei und die Griechen nun einmal so entschieden hätten. Tsipras hat inzwischen gelernt, dass auch die anderen Staaten der Eurozone Demokratien sind, in denen es einen Wählerwillen gibt. Er streitet auch kaum noch mit den Geldgebern über die nötigen Reformen.

Der frühere niederländische Finanzminister und Chef der Eurogruppe Jeroen Dijsselbloem hat unlängst der „Financial Times“ ein Interview gegeben, in dem er voll des Lobes für Tsipras und dessen Finanzminister Euklid Tsakalotos war. Die beiden hätten das Verhältnis Athens zu den Europäern vollkommen verändert: „Fast alles ist leichter seither. Es ist eine vollkommen andere Lage.“

Im „Namensstreit“ setzt Tsipras diese verantwortungsvolle Haltung fort. Wenn es nicht nur ein Spiel ist, um die Opposition zu spalten – und solche Manöver beherrscht der gewiefte Taktiker Tsipras gut –, dann wollen der Regierungschef und sein Außenminister den leidigen Streit wirklich beenden. Tsipras hat den Vorteil, dass er nie zu den Verblendeten gehörte, die den Konflikt durch eine historistische oder rassistische Brille betrachteten.

Gelänge es ihm und Kotzias, einen Konflikt zu überwinden, den fast ein Dutzend Athener Regierungen vor ihnen nicht lösen konnten oder wollten, wäre das eine historische Leistung – nicht nur für Griechenland, sondern für ganz Südosteuropa. Denn die Blockade Mazedoniens birgt für große Teile der Region eine erhebliche Destabilisierungsgefahr. Noch ist nicht absehbar, ob die Verhandlungen wirklich zum Erfolg führen, doch so nahe an einer Lösung wie derzeit war der Konflikt noch nie. Kommt es zu einer Einigung, wird man sich an den einstigen Athener Populisten Tsipras womöglich noch als Staatsmann erinnern, der eine Größe zeigte, die seinen Vorgängern fehlte.

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