30/12/2013
Von Matthew Lynn und Florian Faust
Im neuen Jahr werden an den Märkten auch die Gespenster der Vergangenheit wieder ihren Schrecken verbreiten. Stellt man an den Märkten die Frage nach den Szenarien mit dem höchsten Schockpotenzial, fallen ganz unterschiedliche Antworten, doch nur eine, die einigermaßen realistisch erscheint.
Dass die US-Notenbank bei der Straffung ihrer Geldpolitik nicht nur die quantitative Lockerung beendet, sondern in absehbarer Zeit auch an der Zinsschraube dreht, ist wenig wahrscheinlich. Dies gilt auch für die Gefahr von Massenprotesten in China mit dem Ziel eines politischen Umsturzes. Auch dass das Ölkartell der OPEC für das schwarze Gold statt US-Dollar nur noch Bitcoins akzeptiert, darf getrost als Hirngespinst abgetan werden.
Dies gilt allerdings nicht für ein Thema, das viele Marktteilnehmer bereits verdrängt haben: Den Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Es ist wahr, dass Prophezeiungen in dieser Hinsicht bisher nicht eingetreten sind. Schon für 2011 und 2012 war die Rückkehr der Griechen zur Drachme vorhergesagt worden, doch Athen steht bis heute zum Euro. Für eine insgesamt moderate Abschreibung griechischer Schulden und eine Fortsetzung der schweren Rezession konnte das Land im gemeinsamen Währungsraum bleiben.
Griechen lassen Märkte nicht mehr zittern
An den Märkten hat die Griechenland-Krise mittlerweile ihren Schrecken verloren, die Angst vor einer Staatspleite und einem Ausstieg aus der Eurozone ist deutlich geschwunden. Im Gegenteil machen inzwischen Berichte die Runde, dass sich der griechische Patient langsam erholt. Doch all dies verdeckt nur den Blick auf den Umstand, dass die Gefahr eines „Grexit" bislang nur verschoben ist, aber keinesfalls gebannt.
Der Schlüssel zur Frage, ob die Griechen in der Eurozone bleiben, liegt aus Sicht von Volkswirten in der Abhängigkeit des Landes von den Geldgebern. 2012 und 2013 sei die Wiedereinführung einer eigenen griechischen Währung auch daran gescheitert, dass Griechenland ohne äußere Hilfszahlungen viele Dinge im Innern nicht hätte finanzieren können.
2014 rechnen Volkswirte aber mit einem Handels- sowie einem Haushaltsüberschuss. Damit hätte Griechenland tatsächlich die finanziellen Reserven, die Eurozone zu verlassen, das Land wäre nicht mehr komplett von seinen Geldgebern abhängig. Sollte sich für einen solchen Schritt in Griechenland eine Mehrheit finden, dann wäre der wahrscheinlichste Zeitpunkt dafür das Frühjahr 2014. Für die Finanzmärkte wäre ein solcher Austritt allerdings ein Schock.
Die Argumente, die für einen „Grexit" sprechen, liegen auf der Hand: Griechenland blickt auf das sechste Jahr wirtschaftlicher Rezession in Folge zurück. Es gibt kaum Signale, die auf eine Rückkehr zu positivem Wirtschaftswachstum in absehbarer Zeit hindeuten. Für 2013 gehen Volkswirte davon aus, dass die Wirtschaft um weitere 4 Prozent schrumpft. Seit Beginn der Krise haben die Griechen ein Viertel ihres Bruttoinlandsproduktes verloren.
Zum Vergleich: Die US-Wirtschaft war im Verlauf der Großen Depression in den 1930er Jahren um rund 30 Prozent geschrumpft. Der Absturz der griechischen Volkswirtschaft kommt der Dimension der traumatischsten Epoche in der jüngeren amerikanischen Geschichte damit schon gefährlich nahe. Die Arbeitslosigkeit in Griechenland hat mit 27 Prozent ein erschreckendes Ausmaß erreicht. Unter der jüngeren Generation sind 55 Prozent ohne Job.
Optimismus der Regierung für 2014 ohne Widerhall
Zwar verbreitet die Regierung in Athen Optimismus und setzt für 2014 auf eine leichte Erholung, doch die OECD teilt diese Sicht der Dinge nicht. Die Organisation aus 34 hoch entwickelten Staaten, der auch Griechenland angehört, geht vielmehr davon aus, dass der Rückgang der Wirtschaftsleistung sich fortsetzen wird.
Athen, Europäische Union und der Internationale Währungsfonds sprechen seit 2011 davon, dass die Trendwende der Abwärtsspirale kommt – bislang hat sich das nicht bewahrheitet. Warum es ausgerechnet im nächsten Jahr soweit sein soll, ist unklar. Viele Griechen haben längst jede Hoffnung verloren und sich ihrem Schicksal ergeben. Ein Ende des wirtschaftlichen Niedergangs erscheint ihnen ferner denn je.
Renaissance Capital kommt in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass auf jeden griechischen Beschäftigten zwei Personen ohne Arbeit kommen – die höchste Quote der Welt. In Großbritannien etwa ist das Verhältnis ausgeglichen. Damit Griechenland auch nur auf ein einigermaßen normales Verhältnis im Bereich von 1 zu 1,5 zu kommen, bräuchte es ein echtes Jobwunder.
Zwar sinken die griechischen Löhne. Nicht zuletzt wegen der Massenarbeitslosigkeit müssen Arbeitnehmer immer niedrigere Gehälter akzeptieren. Gleichwohl liegt das griechische Lohnniveau noch immer über dem von Polen und Ungarn. Solange sich dies nicht ändert, bleibt die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands unter Druck und die Arbeitslosigkeit wird auf hohem Niveau verharren.
Trotzdem hat Griechenland verglichen zur Situation vor zwei Jahren Fortschritte gemacht. Das Land erwirtschaftet einen Handelsbilanzüberschuss. Wichtigste Stütze ist der Tourismus, der volkswirtschaftlich dem Exportsektor zugerechnet wird. Der Fremdenverkehr ist in diesem Jahr um satte 12 Prozent gewachsen.
Hotelgewerbe profitiert von sinkenden Löhnen
Die Krise hat die Preise in der Hotellerie purzeln lassen. Die Gehälter liegen hier zum Teil deutlich unter dem Vorkrisenniveau, was im arbeitskräfteintensiven Tourismussektor relativ schnell zu sinkenden Angebotspreisen geführt hat. Für Touristen hat Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit verglichen mit anderen Destinationen schon klar verbessert – allerdings zu Lasten der Beschäftigten.
Wegen der hohen Unterbeschäftigung und den sinkenden Einkommen sind auch die griechischen Importe drastisch gefallen, auch das erklärt den Überschuss in der Handelsbilanz. Viele Griechen können sich die Waren aus dem Ausland schlicht nicht mehr leisten. In der Konsequenz bedeutet die Verschiebung der Bilanz hin zum Export, dass Griechenland weniger abhängig von internationalen Geldgebern wird. Der Exportüberschuss lässt das Land liquider werden.
2014 plant die Regierung zudem fest mit einem Primärüberschuss beim Staatshaushalt. Zins- und Tilgungsleistungen und sonstige Sonderbelastungen herausgerechnet hofft der Finanzminister auf einen Haushaltsüberschuss. Die Kürzungen im öffentlichen Dienst mögen brutal gewesen sein, aber sie haben ihr Ziel nicht verfehlt.
In den ersten elf Monaten des auslaufenden Jahres sanken die Staatsausgaben auf 50 Milliarden Euro, ein Jahr zuvor summierten sie sich noch auf 58 Milliarden Euro. Doch der griechische Staat nimmt noch immer nicht genügend Steuern ein, um den erdrückend hohen Schuldendienst leisten zu können. Den finanziellen Verpflichtungen im Innern kann der Staat aber erstmals seit Langem ohne Hilfe von außen oder neue Schulden nachkommen.
Damit sind die Karten der Abhängigkeit nun neu gemischt: Griechenland kann die eigenen Bedürfnisse aus eigener Kraft finanzieren. Daher wäre nun der Zeitpunkt für ein Verlassen der Eurozone gekommen. Angesichts des Handelsbilanzüberschusses könnte die neue Drachme eine durchaus solide Währung sein. Mit einer eigenen Währung stiegen auch die Chancen auf eine Ausweitung des Handelsbilanzüberschusses; die Drachme dürfte in kurzer Zeit dramatisch abwerten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit – insbesondere im Tourismus – dürfte sich erkennbar verbessern.
Athen ist wieder handlungsfähig
Auch stünde die Regierung in Athen nicht mehr vor unlösbaren Finanzproblemen, von einem Schuldenkollaps ganz zu schweigen. Die Liquidität des griechischen Staates dürfte bei Einführung der Drachme allemal ausreichend sein, um die Kosten der öffentlichen Hand zu decken. Für den Schuldendienst reichte es natürlich nicht. Die drohende Zahlungsunfähigkeit verlöre unter der Bedingung, dass es ausreichend Geld gibt, den Staat auch ohne neue Schulden am Laufen zu halten, für die Hellenen ihren Schrecken.
Außerdem: Ist der Schuldendienst erst auf Drachme umgestellt, so lässt sich ein Mangel an Liquidität einfach beheben – mit Hilfe der Notenpresse. Ein „Grexit" wäre rein ökonomisch gesehen also kein Problem.
Ob er tatsächlich kommt, ob die Griechen den Euro tatsächlich gegen eine neue Drachme tauschen, steht natürlich in den Sternen. Die Möglichkeit dazu ist aber gegeben, und ein solches Szenarion angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen letztlich sogar sehr real.
Das Ultralinksbündnis Syriza, das die von der Troika der griechischen Gläubiger auferlegten Bedingungen zur finanziellen Sanierung Griechenlands schon immer abgelehnt hat, liegt in den Meinungsumfragen der vergangenen Monate an führender Position. Die jüngsten Umfrage sieht Syriza bei 21 Prozent Wählerstimmen, das ist mehr als die regierende Nea Dimokratia aktuell auf sich vereinen kann.
Sollte Syriza nach der Macht greifen, wäre eine Eskalation mit der EU programmiert. Wenn im Frühjahr ein neuer Kompromiss mit EU, Europäischer Zentralbank und dem IWF ausgehandelt werden muss, so könnte dies der Startschuss dafür sein, dass Griechenlands tatsächlich aus dem gemeinsamen Währungsraum ausscheidet. Das gilt umso mehr, wenn Deutschland stur an seien harten Reformforderungen festhält.
Angesichts der ökonomischen und politischen Entwicklung in Griechenland kann nicht davon die Rede sein, dass das Gespenst eines „Grexit" endgültig gebannt ist. Vielmehr könnte es erneut sein Unwesen treiben, nicht obwohl, sondern weil sich die Situation in Athen etwas entspannt hat. Sollte es tatsächlich zur Wiedereinführung der Drachme kommen, ohne, dass die Märkte darauf vorbereitet wären, ist mit massiven Schockwellen zu rechnen, die von Athen ausgehen.
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