6/9/2014
Von Thomas Mayer
Deutschland wurde durch die Einführung des Euro gestärkt. Das gefällt vielen nicht.
Als ich mir Christopher Clarks Buch „Die Schlafwandler“ für den Sommerurlaub einpackte, erwartete ich, etwas mehr über die politischen und diplomatischen Fehlleistungen zu lernen, die vor hundert Jahren zum Ersten Weltkrieg führten. Meine Erwartung wurde nicht enttäuscht. Clark erzählt eine faszinierende Geschichte von politischen Fehlkalkulationen, diplomatischen Missverständnissen und heillosen Verstrickungen in komplizierten Bündnissystemen am Vorabend des Kriegsausbruchs. Doch Clark bringt dem Leser noch eine andere Geschichte nahe: Die eines durch die Reichsgründung erstarkten Deutschlands, das groß genug war, von den etablierten europäischen Mächten als Bedrohung ihrer Interessen wahrgenommen zu werden, aber nicht so groß, dass es als unangefochtener Hegemon in Europa walten konnte. Diese Zwischengröße, gepaart mit einem holprigen Auftreten auf der internationalen politischen Bühne, bereitete den Weg in die Katastrophe.
Die Abgabe der D-Mark hat Deutschland gestärkt
Während der Lektüre der „Schlafwandler“ fiel mir Dominik Gepperts Buch „Ein Europa, das es nicht gibt“ in die Hände. Liest man beide Bücher parallel, dann wird plötzlich klar, wie aktuell Clarks Geschichte von der verhängnisvollen Zwischengröße Deutschlands ist. Eigentlich hätte die Frage nach der angemessenen Position Deutschlands in Europa ja mit der europäischen Integration beantwortet sein sollen. Durch die Vergemeinschaftung der Währung sollte eine deutsche Vormacht in Wirtschaft und Finanzen verhindert werden, die in den Augen der europäischen Partner durch die Wiedervereinigung Deutschlands wahrscheinlicher geworden war. Besonders Frankreichs Staatspräsident Mitterand erhoffte sich von einer gemeinsamen Währung die Lösung der „deutschen Frage“. Da weder die diplomatische noch die militärische Macht Deutschlands auf der Höhe ihrer Wirtschaftsmacht seien, erklärte Mitterand dem spanischen Premierminister Felipe González schon 1987, stützten sich die Deutschen allein auf monetäre Macht. Margaret Thatcher dagegen warnte Anfang der 1990er Jahre, dass ein vereintes Europa mit einer gemeinsamen Währung den Einfluss Deutschlands stärken würde und prophezeite Deutschland eine Führungsrolle.
Schaut man heute auf Europa, muss man feststellen, dass Thatcher mit ihrer Prognose besser lag als Mitterand. Statt im europäischen Orchestergraben zu sitzen steht Deutschland am Dirigentenpult, nicht, weil es dies angestrebt hätte, sondern weil die Umstände dies erzwungen haben. In einem gemeinsamen Markt mit einer einheitlichen Währung verdrängen effiziente Anbieter zwangsläufig ihre ineffizienten Wettbewerber: So entsteht ein Gefälle in der Wirtschaftskraft zwischen den Teilen. Ohne eine politische Union, die den Ausgleich politisch wieder herstellen könnte, drückt sich das Gefälle in der Wirtschaftskraft auch in einem Gefälle in der politischen Machtverteilung aus. Man könnte es als eine Ironie der Geschichte empfinden, dass gerade die gemeinsame europäische Währung, die ja die deutsche Frage abschließend lösen sollte, diese nach einem Jahrhundert erneut aufgeworfen hat.
Wie kann man Deutschlands Stärke beschränken?
Europäische Föderalisten rufen deswegen nach der politischen Union. Doch würde damit nur die politische Vormacht Deutschlands abgeschafft. Die wirtschaftliche Vormacht würde weiter bestehen und wahrscheinlich das politische Klima in dieser Union vergiften. Andere wollen die schwächeren Länder in der Währungsunion zu einer Steigerung ihrer wirtschaftlichen Effizienz zwingen, oder dem relativ stärkeren Deutschland eine Kur zur Schwächung auf ein allen genehmes Gemeinschaftsniveau verschreiben. Beide Therapien kranken daran, dass sie historisch gewachsene Wirtschafts- und Sozialstrukturen im Namen der europäischen Integration technokratisch verändern wollen.
Die Kaufkraft einer Währung reflektiert letztlich die Wirtschafts- und Sozialstruktur des Gemeinwesens, dem sie als gesetzliches Zahlungsmittel dient. Wo diese Strukturen nicht angeglichen werden können, stiftet eine Währungsunion Unfrieden unter den Teilnehmern. Gegenwärtig bemühen sich die anderen Euro-Länder mit Deutschland wirtschaftlich auf Augenhöhe zu kommen. Frankreich kommt dabei die Schlüsselrolle zu. Schafft es Frankreich nicht, durch die Reform seiner Wirtschaftsordnung zu Deutschland aufzuschließen, wäre es langfristig im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft, wenn sich Deutschland aus der Währungsunion verabschieden würde.
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