19/4/2019
Von Giorgos Christides
Die griechische Regierung will mit mehr Nachdruck Reparationszahlungen von Deutschland fordern. Nach SPIEGEL-Informationen aktiviert Athen dafür jetzt auch eine alte Drohung: die Beschlagnahmung von deutschem Eigentum.
Der Mittwoch dieser Woche dürfte als historischer Tag in die Geschichte des griechischen Parlaments eingehen. Nach einer zwölf Stunden dauernden Debatte verabschiedeten die Abgeordneten den Bericht einer Kommission, die die durch Deutschland angerichteten Kriegsschäden akribisch aufgelistet hat. Demnach ergeben sich, inklusive der Zwangsdarlehen an die Nazis, Ansprüche der Griechen gegenüber Deutschland in Höhe von mehr als 300 Milliarden Euro.
Die deutschen Besatzer hatten von April 1941 bis September 1944 rund 300.000 griechische Staatsangehörige getötet und zahlreiche Massaker verübt, etwa in Lyngiades, Distomo, Kalavryta, Kandanos oder Viannos. 1942 musste die griechischen Zentralbank außerdem einen Zwangskredit gewähren, der damals auf knapp 500 Millionen Reichsmark beziffert wurde und heute mit Zinsen einige Milliarden Euro ausmachen würde.
Mit der Verabschiedung des Berichts gab das Parlament der griechischen Regierung gleichzeitig den Auftrag, alle ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen und diplomatischen Register zu ziehen, damit Deutschland Reparationszahlungen anerkennt. Ministerpräsident Alexis Tsipras versicherte den Abgeordneten, dass er alle Möglichkeiten ausschöpfen werde.
"Dies ist ein wichtiger Tag für Griechenland im Ringen um einen gerechten Ausgleich der deutschen Schuld", sagte Aristomenis Syngelakis vom Griechischen Komitee für Reparationsansprüche dem SPIEGEL. Die deutsche Regierung tue gut daran, ihre "inakzeptable und arrogante" Position so schnell wie möglich aufzugeben.
Verbalnote an Maas
Seit 2016 hatte die Kommission an dem Bericht gearbeitet, und eigentlich wollte sie ihn schon viel früher präsentieren. Doch Tsipras hatte die Verabschiedung im Parlament damals mit Hinweis auf die schwierige Situation nach der Schuldenkrise verhindert.
Nun erklärte der Regierungschef, dass Griechenland nicht mehr abhängig von den finanziellen Hilfsprogrammen der Europäischen Union sei. Insofern könne niemand behaupten, Athen wolle seine Schulden mit den Reparationsforderungen an Deutschland verrechnen. Kritiker werfen Tsipras dagegen vor, es nur auf Stimmen bei den bevorstehenden Wahlen zum Europaparlament abgesehen zu haben. In Griechenland sind darüber hinaus in diesem Jahr noch einige Urnengänge in den Regionen angesetzt. Im Oktober stimmen die Bürger außerdem über die Zusammensetzung des griechischen Parlaments in Athen ab.
Als ersten Schritt will Tsipras nun eine sogenannte Verbalnote an Außenminister Heiko Maas schicken, in der die "unveräußerlichen Ansprüche" aufgelistet und die deutsche Regierung zur Aufnahme von bilateralen Verhandlungen aufgefordert wird. Die Gesprächsrunden, so heißt es, könnten in vier Kapitel aufgeteilt werden.
- Reparationszahlungen für die von deutschen Soldaten angerichteten Schäden
- Schadensersatz für die Opfer von Kriegsverbrechen und deren Angehörige
- Die Rückzahlung des Zwangskredits inklusive Zinsen
- Die Rückgabe von gestohlenen Kunstschätzen und archäologischen Fundstücken
Dass die Bundesregierung sich zu Verhandlungen bereit erklärt, hält allerdings auch in Griechenland kaum jemand für möglich. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte schließlich schon kurz vor der Verabschiedung der Resolution die Berliner Position bekräftigt. Man wisse "um die große Schuld und das große Leid", das Deutschland zu Zeiten des Nationalsozialismus über Griechenland gebracht habe, erklärte er. Zur Frage von Reparationen habe sich aber an der Haltung Deutschlands nichts geändert. Die Regierung betrachte das Thema als "juristisch wie politisch abschließend geregelt", so Seibert weiter.
Sollte es dabei bleiben, will Athen nach SPIEGEL-Informationen zunächst verschiedene juristische Wege beschreiten: mit einer Klage vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag und mit der Anrufung des Internationalen Schiedsgerichtshofs in London. Dafür wäre es aber nötig, zahlreiche juristische Fallen zu überwinden, weswegen Experten die Erfolgsaussichten eher skeptisch beurteilen.
Enteignungen werden diskutiert
Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, deutsche Vermögenswerte in Griechenland zu konfiszieren. Schon einmal hatte der damalige Justizminister Nikos Paraskevopoulos damit gedroht. Als Präzedenzfall könnte dafür die Entschädigung der Opfer von Distomo dienen. Der oberste Gerichtshof hat vor Kurzem ein Urteil von 1997 bestätigt, das den Hinterbliebenen 28 Millionen Euro zugesprochen hatte. Eine Pfändung müsste aber das Justizministerium erst genehmigen.
Doch bislang hat noch keine griechische Regierung diesen Schritt gewagt, aus Angst die Beziehungen zu Deutschland als Kreditgeber und Handelspartner zu gefährden oder deutsche Touristen zu verschrecken. Doch diese Sorge scheint inzwischen geringer geworden zu sein. Wie der SPIEGEL aus informierten Kreisen erfuhr, diskutieren Regierungsverantwortliche und Parlamentarier schon seit einiger Zeit, wie sich Enteignungen deutscher Güter umsetzen ließen.
Ein solcher Schritt würde die Beziehungen zwischen Berlin und Athen zweifelsohne schwer belasten, darüber sind sich auch die Hardliner im Klaren. Deshalb seien sie auch nur der letzte Schritt, wenn zuvor alle Versuche auf diplomatischem und juristischem Wege gescheitert seien.
Zuvor wollen die Griechen deshalb ihre Ansprüche im neuen EU-Parlament vorstellen, das am 26. Mai gewählt wird. Parallel dazu wollen sie bei den anderen Regierungen in Europa für ihre Sache werben. Für Nachdruck sorgen soll überdies eine Informationskampagne - damit die Deutschen einsehen, dass die Forderungen der Griechen berechtigt sind.
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